4.3 Ein Stuhl

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aiiki
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4.3 Ein Stuhl

Beitrag von aiiki »

Irgendwo muss ein Zeichner sitzen….

Wir basteln uns einen Stuhl.

Jetzt sind die Dinge wichtig, die wir in der Lektion „Perspektiven und Fluchtpunkte“ gelernt haben.

Um Missverständnissen vorzubeugen:Es geht hier nicht darum dass Du lernst wie man den ultimativen und perfekten Stuhl malt sondern um Grundbegriffe bei der Darstellung von eckigen und perspektivisch verzogenen Objekten. Es ist also völlig unwichtig ob Du einen Stuhl, Tisch, Schrank oder überhaupt kein Möbel sondern irgendein anderes Motiv wählst.
Such Dir einfach aus wozu Du Lust hast oder was grade in Reichweite ist und versuche, die Dinge die hier erklärt werden auf dieses Motiv anzuwenden.


In dieser Lektion wird es etwas „mathematisch“ – die Parallelverschiebung ist ein wichtiger Bestandteil.
Aber keine Angst: Es hört sich schlimmer an als es ist und dient auch wirklich nur Übungszwecken.

Später kommst Du auch ohne solche Hilfsmittel aus.

Legen wir los:

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Du hast doch einen Stuhl zuhause? Stell ihn vor Dich hin und beginne mit Deiner Skizze.

Als erstes zeichnest Du die Sitzfläche so wie Du sie wirklich siehst – also ganz bestimmt nicht einfach quadratisch (außer, Du schwebst grade an der Zimmerdecke). Man kann auch mit jedem anderen Teil anfangen aber die Sitzfläche ist wahrscheinlich am leichtesten.

So könnte es jetzt ungefähr aussehen.



Und jetzt?

Klar – ein Stuhl braucht Beine. Aber wie lang sind die bei diesem eigenartigen Gebilde jetzt eigentlich?
Es gibt einen ganz einfachen Trick: Da alle Beine gleichlang sind (sollten sie zumindest) enden sie auch alle im gleichen Abstand von der Sitzfläche. (Naja, nicht ganz – aber dazu später)
Wenn Du Dir die Ebene mit der Sitzfläche duplizierst und nach unten schiebst hast Du es schon. Die Endpunkte der Beine sind klar zu sehen und Du kannst die Beine gleich einzeichnen. Danach stellst Du Deine Sitzflächen-Kopie wieder unsichtbar.

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Sehr schön.
Doch halt! Was haben wir gelernt?
Dinge, die weiter von uns entfernt sind sehen kleiner aus. Und das hintere Stuhlbein ist definitiv weiter von den beiden seitlichen Beinen entfernt als das vordere.
Also wird das hintere Bein etwas gekürzt und dafür das vordere etwas verlängert (wirklich nur wenig). Die beiden seitlichen Beine bleiben wie sie sind. Sie liegen ja in der "Mitte". Ich habe hier die Hilfsebene noch sichtbar gelassen damit Du weisst um wieviel es beim Kürzen und Verlängern ungefähr geht.



Du möchtest noch ein paar hübsche Streben wegen der besseren Haltbarkeit des Sitzmöbels? Auch das ist kein Problem.
Da alle Linien eines Objekts die parallel verlaufen auch immer parallel dargestellt werden brauchst Du nur Deine Hilfsebene wieder zu bemühen. Schieb sie rauf und runter wie es Dir gefällt und zeichne die Dicke der Sitzfläche und eventuelle Verstrebungen mit ein.
Ein ganz kleines Bisschen musst Du auch hier trixen. Da das vordere Bein ja etwas länger dargestellt wird muss auch die Strebe, die nach vorne geht, etwas verdreht werden damit es echt aussieht.

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Fehlt noch die Lehne. Die ist immer etwas nach hinten geneigt damit man besser sitzen kann. Wichtig ist nur dass die beiden senkrechten Seiten genau parallel sind.

Die waagerechten richtest Du wieder am Sitz aus. Du kannst dafür nochmal die Sitzflächen-Kopie verschieben.



Jetzt ist Dein Grundgerüst schon fertig. Radiere noch alle überflüssigen Linien raus und dann kannst Du (weißen Hintergrund und Hilfsebene vorher ausblenden) alle sichtbaren Ebenen vereinen.


Du hast jetzt einen ersten (und perspektivisch richtigen) Entwurf zur Hand mit dem Du weiterarbeiten kannst.

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Der mathematische Teil ist geschafft.

Und jetzt fragst Du Dich sicher: Und wann kommen nun diese komischen Fluchtpunkte? Die Antwort ist einfach… Gar nicht!
Die sind meist nur bei großen Objekten (Häusern z.B.) wichtig. Bei so kleinen Dingen wie Stühlen sind die Abweichungen so klein dass man sie beim Zeichnen vernachlässigen kann.
Wir sind hier nur einmal drüber gestolpert. Das war bei der Verlängerung und Verkürzung der Stuhlbeine.



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Man sieht dass der Fluchtpunkt (wie übrigens auch sein Kollege auf der linken Seite des Bildes) so weit außerhalb liegt dass er kaum ins Gewicht fällt. Nur bei den Enden der Beine gibt es eine stärkere Annährung der Linien. Das liegt daran dass die am weitesten von unserem Betrachtungspunkt entfernt sind – nämlich unten. Wir schauen ja auf den Stuhl von leicht oben herab (sonst könnten wir die Sitzfläche nicht sehen).



Die Parallelverschiebung (und gelegentlich etwas Trixerei) genügen in so einem Fall also völlig aus.



Jetzt werden wir künstlerisch. Und da ist natürlich wieder oberstes Gebot: Hinsehen!

Schau Dir Deinen Stuhl genau an und zeichne ihn dann „am Grundgerüst entlang“. Einige Details wirst Du verändern müssen. So stehen z.B. die meisten Stuhlbeine nicht ganz parallel sondern leicht nach aussen (wegen der Kippsicherheit).
Trotzdem ist das Grundgerüst erstmal eine gute Hilfe. Du darfst Dich nur nicht daran „festbeissen“. Die Parallelverschiebung passt natürlich nur hundertprozentig wenn die Teile auch wirklich parallel sind.


Da hätten die Konstrukteure von Stühlen ja auch dran denken können. ..
Haben sie aber nicht und deshalb darfst Du jetzt nach Herzenslust verändern was nicht so richtig passt.

Ich habe hier meine Verfeinerungen blau dargestellt. Du kannst sehen wie sich der Stuhl um das Gerüst herum „entwickelt“ hat.
Aber die Grundform ist immer noch dieselbe. Wenn Du genau hinschaust siehst Du, dass sogar die Enden der Stuhlbeine unten der Neigung der Sitzfläche folgen (rot).

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Noch etwas aufgehübscht und endlich kann es mit der farblichen Gestaltung losgehen. Jetzt sieht es schon nach einem gemütlichen Sitzmöbel aus und wir können dem Teil seinen wohlverdienten Anstrich verpassen.

Speicher Dir die fertige Skizze wie immer als PNG ab damit Du sie später immer wieder verwenden kannst.



Jetzt geht es endlich mit der Farbe los.
Natürlich ist mein Beispiel nicht bindend. Du kannst Deiner Fantasie freien Lauf lassen.


Ich habe mir unter der Skizze wieder eine neue Ebene erstellt und erstmal alles in der Farbe ausgemalt die der Stuhl später haben soll

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Jetzt kommen erste Licht – und Schatteneffekte dran.
Beachte dass alle Flächen, die in die gleiche Richtung zeigen auch ungefähr gleich viel Licht abbekommen, also gleich hell oder dunkel sind.

Ob Du nachbelichtest/abwedelst oder mit einer passenden Farbe die entsprechenden Stellen übermalst bleibt Dir überlassen (das ist übrigens auch bei allen weiteren Arbeitsschritten so).

Wie Du siehst habe ich alle Flächen die links liegen abgedunkelt und alle Flächen die rechts/vorne sind aufgehellt.


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Erinnerst Du Dich an die Holzwand der Scheune?
Genauso habe ich jetzt auch die Sitzfläche und die Lehne des Stuhles gemacht. Beide Flächen sind nur abwechselnd nachbelichtet und abgewedelt. Das ergibt eine schöne Holzstruktur.

Achte aber dabei unbedingt auf die Faserrichtung des Holzes und ziehe die Pinselstriche möglichst grade und ohne abzusetzen durch.



Nach dem gleichen Prinzip habe ich auch alle anderen Teile des Stuhles mit Struktur versehen. Bei den Beinen und Streben war natürlich ein viel kleinerer Pinseldurchmesser angebracht. Außerdem habe ich dort in vielen kleinen Strichen gezeichnet.

Pass auf, dass Du die ursprüngliche Hell-Dunkel-Aufteilung dabei nicht aus den Augen verlierst. Die rechten Flächen müssen immer heller als die linken bleiben. Arbeite im Zweifelsfall erstmal mit verminderter Deckkraft und teste wie es am besten aussieht.

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Die Strukturen sind Dir jetzt etwas zu heftig? Macht nichts – Du kannst das Ganze wieder etwas „entschärfen“ indem Du mit dem Weichzeichentool nacharbeitest.
Ich habe es hier mit einer Deckkraft von 50% eingesetzt damit die Struktur nicht ganz verloren geht.
Außerdem hat der Stuhl noch ein paar zusätzliche Schatten unter der Sitzfläche und dem unteren Rand der Lehne bekommen.



Ich persönlich finde jetzt die Kanten (also eigentlich unsere Skizze) noch zu dominant. Und deshalb werden sie gefärbt.

Wie das geht weisst Du schon:

Nimm an einer dunklen Stelle des Stuhles eine passende Farbe auf, sperre auf der Skizzen-Ebene den Alphakanal und übermale das harte Schwarz mit Deiner gewählten Farbe.

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Sonderfall FrontalansichtBevor wir uns auf unserem Sitzmöbel niederlassen noch schnell eine Ergänzung:

Meist sehen wir den Stuhl oder auch ein anderes Objekt irgendwie von der Seite. Es kann aber auch vorkommen dass man frontal vor einem Objekt steht (Bei Tischen ist das z.B. oft so). In diesem Fall befindet sich der Fluchtpunkt genau hinter dem Objekt und die Verzerrung ist deshalb etwas anders. Allerdings sollte man solche Ansichten - zumindest bei kleineren Objekten - vermeiden. Sie sehen im Allgemeinen nicht besonders gut, sondern irgendwie "gestellt" aus.
Der Vollständigkeit halber sind hier aber zwei Beispiele. Wie man sieht ist es bei dieser Darstellungsform besonders wichtig auf den Standort des Betrachters zu achten:
BildFalls Du also jemals in die Verlegenheit kommst unter dem Tisch zu liegen (sowas soll ja vorkommen :kicher: )
weisst Du jetzt, wie Du die Ansicht, die sich Dir dann bietet, darstellst:


Da ein Tisch eigentlich nicht viel mehr als ein Stuhl ohne Lehne ist lässt Du die einfach weg und schon hast Du es....


Fertig! Ich bitte Platz zu nehmen....

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